Erstellt mit Google: Übersetzung und als Sprachdatei: Raj in Bangla, Raj_Part_3_Bangla.pdf
Text in Deutsch herunerladen Raj-Teil-3.pdf

Von der Geschichte gibt es unterdessen Teil 1 neuTeil 2 / Teil 3 / Teil 4 weitere sollen folgen.


Anmerkungen:
- Da ich viele, mir wichtige Details in die Geschichte einbringen wollte, konnte mich KI dieses Mal nur wenig unterstützen, ich habe den Text selbst eingetippt, aber leider findet auch Word nicht alle Schreibfehler.
- Der Junge sieht auf den Fotos zwar immer noch etwas unterschiedlich aus, doch das Programm lässt ihn immer ähnlicher aussehen.

Infos zu den Themen, die ich in der Geschichte einarbeite, finden sich hier: feseco.com/geschichte

 


Der indische Junge Raj und Eischen Teil 3

 
An einem Abend sassen Herr Secon und Raj zusammen mit der Mutter von Raj vor deren Hütte.

"Raj" fragte Herr Secon:" ich habe gehört, dass Du eine Geschichte erzählst, in der du ganz allein ein Artefakt zurückgeholt hast, aber als du bei mir übernachtet hast, sagtest du, du würdest zum ersten Mal auswärts schlafen? Wie ist das möglich?

Raj wurde blass. Ja, das ... Er machte eine Pause:» Ich hoffe, dass sie mir nicht böse sind, ganz so abenteuerlich war das nicht, da habe ich einiges dazu erfunden".

«Ach so, das dachte ich mir schon, nein, ich bin die sicher nicht böse, aber ist denn überhaupt etwas daran?" fragte Herr Secon. Etwas scheu antwortete der Junge:" Ja, ich habe mit dem alten Mann gesprochen, aber er war dabei, als wir es von den Dieben zurückholten, Und wie bei den anderen, die damals Eischen stehlen wollten, hatte Eischen auch hier geholfen, sie hatte sie abgelenkt. Das half, weil die Diebe dümmer waren als die Katze und weil sie sich überrumpelt gefühlt hatten, haben sie es zurückgegeben".

Die Mutter wollte sich für Raj entschuldigen, doch Herr Secon fand das nicht nötig.
«Lassen sie das nur, er hat ja niemandem geschadet und niemanden beschuldigt, er wollte damals auch nur ein Held sein. Raj ist sehr klug, er hat viel Fantasie, auch sehr viele Ideen und da er keine richtigen Freunde hat, lebt er so seine Abenteuer aus. Wichtig ist, dass er selbst erkennt, wo die Grenzen sind und wo es gefährlich werden könnte. Ein echtes Abenteuer hatte er danach erlebt und daraus gelernt.» Die Mutter war froh, dass es deswegen keine Probleme gab.

Dann fragte Herr Secon, warum der Junge denn keine Freunde habe, er sei freundlich und klug? "Ja," bekam er zur Antwort: "Genau daran liegt es. Die anderen können mit ihm nicht umgehen, verstehen ihn nicht und er die andern nicht. Er wurde oft ausgelacht wegen seiner Ideen und seiner Art zu denken, so dass er schon früh zurückgezogen hatte. Er streitet nicht gerne und ist eigentlich sehr geduldig. Erst mit Eischen hat das schon etwas verbessert, jetzt geht er auch öfters hinaus. Dank ihnen noch mehr."

 Dass das Ganze aber auch damit zu tun hatte, dass er zu den Dalits, den «Unberührbaren» gehörte, hatte sie dabei verdrängt. Das würde aber noch für Probleme sorgen.

Die Mutter machte eine Pause und fragte: "Noch Tee Herr Secon? Ich bin froh, dass Sie ihn so akzeptieren, sie können sehr gut mit ihm umgehen, er ist begeistert. Es hilft ihm. Vielen Dank"

Es war eine Weile ruhig, alle waren etwas nachdenklich und dann äusserte sich Herr Secon: "Alles ok, ich kenne das und bei mir war es auch so. Aber gerade deshalb habe ich einen anderen Weg eingeschlagen und versuche denen etwas zu helfen, die es nötig haben und es auch schätzen.  Raj ist ein kluger Junge und ich denke, er hat viel Potenzial, das man fördern sollte». «Was ich gar nicht mag ist aber, betrogen oder verschaukelt zu werden, da raste ich aus. Arrogante Menschen, die meinen sie sind etwas Besseres als andere, obwohl wie selbst nichts dazu beigetragen haben, mag ich gar nicht. Niemand hat selbst entschieden, wo er, bei wem er hineingeboren wird. Viel wichtiger ist es, was die Person daraus macht. Da kann man helfen und eine Chance geben, wenn sie sich bemüht.»
Raj war froh, da Herr Secon wegen seiner alten, übertriebenen Geschichte nicht verärgert war.

Es war spät geworden und für Raj Zeit ins Bett zu gehen. Auch Herr Secon ging nach Hause und beide wollten sich bald wieder treffen, um die Wälder zu besuchen, wo andere Fischkatzen lebten. Eichen war tagsüber schon öfters weg und sie wollten sehen, wohin sie so geht.

Zu den Fischkatzen (fishing cats)

Einige Tage später trafen sich Raj und Herr Secon erneut, um den Plan zu verwirklichen, den Wald zu besuchen, in dem die anderen Fischkatzen lebten. Raj war aufgeregt und konnte es kaum erwarten, mehr über diese faszinierenden Tiere zu erfahren und zu sehen, wohin Eischen tagsüber verschwand.

Sie brachen früh am Morgen auf, bewaffnet mit Proviant, Notizbüchern und Kameras, um ihre Beobachtungen festzuhalten. Eischen führte sie durch dichtes Unterholz und über versteckte Pfade, die nur sie zu kennen schien. Der Weg war anstrengend, aber die frische Morgenluft und die Geräusche des erwachenden Waldes gaben ihnen Kraft.

Unterwegs erklärte Herr Secon, warum die Fischkatzen so besonders waren. "Fischkatzen sind ein Symbol für das Gleichgewicht in der Natur. Sie sind selten und benötigen saubere, unberührte Wasserplätze. Ihre Anwesenheit zeigt uns, dass dieses Gebiet noch gesund ist."

Raj lauschte aufmerksam. Er wusste, dass der Ausflug mehr war als nur ein Abenteuer, er diente einem grösseren Zweck. Sie wollten herausfinden, wie man das Gebiet besser schützen könnte und welche Massnahmen notwendig waren, um den Lebensraum der Fischkatzen zu bewahren.

Während ihrem Weg durch den dichten Wald stiessen sie auf eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen, die Raj bisher nur aus Büchern kannte. Die meisten der Einheimischen haben viele ihrer Tiere noch nie live gesehen. Herr Secon musste schon feststellen, dass viele Einheimische von manchen Tierarten, die es im Land gibt, keine Ahnung hatten und sie diese erst im Zoo zum ersten Mal sahen. Aber die meist arme Landbevölkerung hatte auch andere Probleme, als die Natur zu geniessen. Umso wichtige war es ihm, Wege zu finden und das Verständnis zu wecken, dass es allen hilft, auch den Menschen, wenn die Tiere und die Umwelt geschützt und gepflegt werden.

 
Sie sahen farbenprächtige Vögel, verspielte Affen und Orchideen, die zwischen den Bäumen wuchsen. Herr Secon erklärte geduldig, wie jedes dieser Lebewesen eine wichtige Rolle im Ökosystem spielte.

Eigentlich war es gar nicht so weit, aber nach einem Fussmarsch, der sich viel länger anfühlte, weil der Wald so dicht war, erreichten sie endlich einen kleinen, versteckten See, den Eischen ihnen zeigte. Sie war kleiner und konnte viel schneller durch die Büsche hindurch. Der See war umgeben von hohen, majestätischen Bäumen, deren Blätter ein schützendes Dach bildeten. Das Wasser war klar und spiegelte die Umgebung wie ein makelloser Spiegel und sie konnten sich nun mit Brot und Früchten stärkten.

Zu ihrer Freude entdeckten sie tatsächlich mehrere Fischkatzen, die sich vorsichtig in der Nähe des Wassers bewegten. Raj war fasziniert von ihrer Anmut und ihrem geschmeidigen Verhalten. Er zückte die Kamera, die ihm Herr Secon ausgeliehen hatte, legte sich ins Gras und machte einige Aufnahmen, während Herr Secon Notizen machte und mit der Videokamera die Tiere filmte.

Sie hatten Glück, der Wind kam von vorne, die Katzen konnten sie nicht riechen und Eischen blieb auch ruhig.

"Schauen sie mal, Herr Secon," flüsterte Raj und zeigte auf eine Fischkatze, die gerade einen Fisch aus dem Wasser brachte. "Sie sind so geschickt und elegant. Wie gut sie tauchen können, um die Fische zu jagen. Es ist erstaunlich, und schön, sie in freier Wildbahn zu sehen."

Plötzlich bemerkten sie jedoch, dass etwas nicht stimmte. Einige der Bäume in der Nähe des Sees trugen Markierungen. Rajs Herz sank bei diesem Anblick. "Was bedeutet das, Herr Secon?" fragte er besorgt.

"Es sieht aus, als ob hier schon Holz geschlagen wurde," antwortete Herr Secon ernst, "das könnte den Lebensraum der Fischkatzen ernsthaft gefährden."

Entschlossen, etwas dagegen zu unternehmen, beschlossen sie, eine Kampagne zu starten, um das Gebiet zu schützen. Raj war fest entschlossen, seine Gemeinschaft zu mobilisieren und das Bewusstsein für die Bedeutung des Waldes und seiner Bewohner zu schärfen.

Zurück im Dorf organisierten sie ein Treffen mit den Dorfbewohnern. Beim Treffen hielt Raj eine leidenschaftliche Rede und zeigte die Fotos der Fischkatzen und des Waldes. Er erklärte, wie wichtig es sei, diesen Lebensraum zu schützen, nicht nur für die Tiere, sondern auch für ihre eigene Zukunft.

"Wenn wir diese Bäume verlieren, verlieren wir nicht nur Holz. Wir verlieren die Heimat vieler Tiere, die saubere Luft, die uns atmen lässt, und das Wasser, das uns alle versorgt," sagte Raj mit fester Stimme. Die Dorfbewohner waren beeindruckt von Rajs Engagement und seiner klaren Vision. Mit Herrn Secons Unterstützung und der Begeisterung der Dorfgemeinschaft begannen sie, Petitionen zu schreiben, lokale Behörden zu kontaktieren und andere Dörfer zu informieren.

Es stellte sich heraus, dass die Abholzung gar nicht bewilligt war. Leider gab es immer wieder Männer, die illegal Holz fällten, um es zu verkaufen. Herr Secon hatte auf einem Markt schon selbst solches Holz gesehen und der Händler hatte zugegeben, es illegal gekauft zu haben, um es als Brennholz weiter zu verkaufen. Für Herrn Secon war das auch einer der Gründe, warum die einfache Landbevölkerung davon wegkommen musste, ihr Essen mit Holz zu kochen, zudem ist es sehr ungesund für die Frauen, im Rauch zu sitzen, dem sie dabei ausgesetzt sind.

Sie erhielten Unterstützung von der Regierung und der Bevölkerung und schafften es schliesslich, genügend Druck auszuüben, um die Holzdiebe zu stoppen und damit die geplante Abholzung. Der Wald und seine Bewohner waren vorerst gerettet.

Raj hatte nicht nur bewiesen, dass er sehr engagiert war, sondern auch, dass selbst ein Junge aus einem kleinen Dorf Grosses bewirken konnte. Herr Secon war stolz auf ihn und wusste, dass Rajs Zukunft voller Möglichkeiten war.

Mit dem Wissen, dass sie zusammen etwas Gutes gemacht hatten, setzten sich Raj und Herr Secon zu Hause immer wieder ans Wasser, um Eischen beim Schwimmen zuzusehen. Raj ging zu ihr, er spielte gerne mit Eischen im Wasser. Sie wussten, dass ihre Reise noch lange nicht zu Ende war, aber sie waren bereit für die Herausforderungen, die vor ihnen lagen.

"Raj," sagte Herr Secon, während er am Ufer sass, "das war nur der Anfang. Es gibt noch so viel zu tun, aber ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen können, solange wir zusammenhalten und für das Kämpfen, woran wir glauben."

Raj lächelte und nickte. "Ja, Herr Secon. Wir haben schon etwas erreicht, aber es gibt viel mehr zu tun, als ich dachte. Ich bin bereit."

«Ja,» lachte Herr Secon:» aber vergiss die Schule nicht, die darf nicht darunter leiden und die Mutter auch nicht, wenn sie Hilfe braucht.

Mit diesen Worten im Herzen fühlten sie sich gestärkt und inspiriert, die nächsten Schritte zu gehen. Sie wussten, dass sie gemeinsam eine nachhaltige und umweltfreundliche Zukunft gestalten konnten, eine Zukunft, in der sowohl Mensch als auch Natur im Einklang leben konnten.

Der Besuch in der Schule

An einem Tag sollte Raj nach der Schule bei Herrn Secon auftauchen, so hatten sie es abgemacht. Doch er kam nicht, dabei war der Junge sonst zuverlässig.
Herr Secon machte sich Gedanken. Also ging er selbst bei Raj vorbei.

Da Problem war, das Raj ein Dalit war. Die Dalits, "Dalits": übersetzt "die Zerbrochenen" so nennen sie sich selbst, sind eine eigene Kasten, die aber nicht zu den 4 Hauptkasten, zu den Varnas gehört. Die Dalits gelten als unrein, unberührbar und stehen sogar unterhalb der Diener, den Knechten oder Tagelöhnern.

Dalits sind noch heute in vielen Bereichen vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Sie arbeiten meistens als Wäscher, Friseur und Müll-Entsorger. Die meisten von ihnen leben bis heute in Armut. Die Diskriminierung ist vor allem auf dem Langd noch sehr gross, auch wenn das Kasten System offiziell abgeschafft ist, orientieren sich viele noch daran, vor allem solche, die dadurch Vorteile haben und die Religion vorschicken. Eine jahrtausendalte Tradition ist schwer zu löschen. Zudem ist auch in West Bengalen, vor allem in den ländlichen Gebieten, die Armut noch sehr gross und vielen fehlt das Wissen, wie sie sich wehren können. In den Städten hat sich das etwas verwässert, dort zählt ausser bei der Heirat usw., oft, dass das Geld, also er soziale Status stärker gewichtet wird, so schafften es schon einige Dalits, etwas in der Wirtschaft oder der Politik zu erreichen, dabei hilft auch eine Quotenregelung, die aber wiederum Neid bei den anderen auslöst, da sie sich dadurch benachteiligt fühlen.

Besonders in ländlichen Gebieten müssen sie oft getrennt in anderen Wohngebieten in Siedlungen leben, dürfen an den Dorfbrunnen kein Wasser schöpfen und sind diversen Schikanen ausgesetzt. Viel andere vermeiden es sogar nur schon den Schatten eines Dalit zu berühren, erst recht den Menschen selbst. Wo werden die meisten der anderen auch nicht in ein Gebiet gehen, in dem Dalits leben, geschweige denn, in ihr Haus eintreten. Herr Secon hatte es als Ausländer da etwas einfacher, mit Dalits in Kontakt zu treten. Dennoch ist es in manchen Regionen ein Tabu Dalits zu berühren und auch Nicht-Hindus sollten daher auf unnötigen Körperkontakt verzichten und nicht ungebet Dalit-Viertel betreten oder gemeinsame Mahlzeiten erwarten.

Herr Secon war dank seiner Kontakte zu Raj keine unerwünschte Person mehr im Gebiet der Dalits um Raj herum, aber einen anderen zu schicken, wäre undenkbar gewesen.

All das muss man verstehen, um die Probleme zu verstehen, mit denen Raj aber auch Herr Secon bei seiner Arbeit immer wieder ausgesetzt waren.

Als Herr Secon bei Raj angekommen ist war, fand er ihn mit verweinten Augen auf dem Bett zusammengekauert. Seine Mutter sass daneben und versucht ihn zu trösten. Herr Secon hatte nie ein Problem damit, dass Raj ein Dalit war, er teilte Menschen nie nach ihrem Status ein, sondern nach ihrem Verhalten gegenüber anderen und ihrem Charakter.

Er nahm den wackligen Stuhl, der unter einem kleinen Tisch stand und setze sich vor Raj.

Raj traurig

«Hallo Raj» sagte er «was ist los? So habe ich dich noch nie gesehen?»

Raj drehte sich beschämt um, um sein Gesicht zu verdecken. Herr Secon wandte sich an die Mutter von Raj, um zu fragen, ob sie wisse, was der Junge hat?
Da fiel ihm auf, dass die Katze Eischen nicht da war. «Ist etwas mit Eischen?» fraget er. «Nein, Eischen ist noch draussen, sie bleibt manchmal etwas länger, bisher kam sie aber jeden Abend zurück. Raj ist sich bewusst, dass Eischen eine Wildkatze ist und ihre Freiheit braucht», bekam er zur Antwort, «aber Raj hatte Probleme nach der Schule».

Raj drehte ich langsam um und wischte sich die Tränen aus den Augen. «Also Raj, möchtest Du mir sagen was dich so beschäftigt, ich hatte dich heute vermisst und habe mir meine Gedanken gemacht.»

«Sorry, dass ich heute nicht, ich wollte sie nicht». begann Raj zu Stammeln und wurde gleich unterbrochen. «Alles OK, ich bin ja froh, dass dir sonst nichts Schlimmeres geschehen ist, aber erzähl doch einfach, wenn Du möchtest. Mir ist das nicht egal».

 Raj setzt sich auf und die Mutter reichte ihm ein Glas Wasser.

Nach einem Schluck begann Raj zu erzählen: »Die Schule, ich habe Probleme mit anderen Mitschülern. Sie wissen ja, dass ich «nur» ein Dalit». Da wurde er von Herrn Secon schnell unterbrochen «Moment Raj, lass bitte das «nur» weg. Du weisst, dass ihr in meinen Augen nicht weniger wert seid, weil ihr Dalits seit». Die Mutter freute das und sie lächelte ein wenig, mit dem Kopf einen Knick nach der Seite machend, so, wie man hier ja sagt, denn hier nickt man nicht mit dem Kopf nach unten.

Es dauerte eine Weile, alles war ruhig, dann begann Raj weiter zu erklären, dass er von ein paar Jungs sehr schikaniert wird, weil er eine Prüfung besser abgeschlossen hatte als diese, weil er besser war, aber in den Augen dieser Jungs als Dalit doch etwas Wertloses sei. Zudem sagte einer, er habe das Gefühl, das Raj Herrn Secon nur helfe, um Geschenke zu bekommen, um zu profitieren. Dabei kennen sie ihn nur vom Sehen.

Raj begann wieder zu weinen und die Mutter meinte, «das ist leider das Schicksal der Dalits».

«Nein, das muss nicht sein», wiedersprach Herr Secon und richtete sich zu Raj « Komm her, darf ich» und umarmte Raj. Raj zuckte zuerst einmal etwas zusammen, bisher hatte ihm Herr Secon zwar schon die Hand auf die Schulter gelegt, aber einen Dalit so zu berühren?

«Ja, aber» stotterte er, noch immer verweint. «Schau Raj, ich habe kein Problem damit, dich zu umarmen, wenn du keines hast, sonst musst du es sagen». Herr Secon lehnte sich etwas zurück, um Raj ins Gesicht sehen zu können. Raj schaute auf und stammelte, «aber die Leute».

«Schau Raj, wenn es Dir hilft, ist das für mich in Ordnung, aber nur, wenn es für Dich auch ok ist. Scham ist nicht nötig. Du bist ein Junge und hast etwas, dass dich sehr schmerzt. Was die Leute denken, wenn Du dich bei mir ausweinst und ich dich umarme? Es ist niemand hier ausser deiner Mutter und die schmunzelt verlegen. Die anderen geht das nichts an».

«Schau Mal Raj, es gibt leider Menschen, die sich für etwas Besonderes halten und sich stark fühlen, wenn sie andere erniedrigen. Dann» fuhr Herr Secon weiter: «gibt es die, die es nötig haben, weil sie selbst nichts auf die Reihe bringen oder von weiter oben schikaniert werden. Beide wissen eigentlich, dass sie schwach sind, was sie aber nie zugeben könnten. Deshalb suche sie sich ein Opfer aus, um ihren Frust auszulassen. Dazu eignet sich in ihren Augen ein junger Dalit.»
Als sich Raj etwas beruhigt hatte, lehnte er sich wieder zurück und erschrak. Hinter ihm war Eischen, er hätte sie fast erdrückt. Sie hatte sich ins Haus geschlichen und Raj war so beschäftigt, dass er sich nicht gesehen hat. Raj begann zu lächeln und kuschelte die Katze.

«Also», Herr Secon stand auf: «dann ist ja im Moment alle in Ordnung, oder? Ich habe noch Arbeit, ich muss gehen. Darf ich morgen einmal in deiner Schule vorbeikommen? Ich habe da ein paar Ideen.»


« Ich weiss nicht, was sie anderen sagen werden, ich würde mich aber freuen. Welche Ideen»? sagte Raj. Mit den Worten «Warte ab. Lass dich überraschen» verabschiedete sich Herr Secon und verliess das Haus.

Am nächsten Morgen traf Herr Secon bei der Schule ein und traf Raj vor dem grossen Eingangstor. Dieser führte ihn zum Büro des Direktors. Herr Secon hatte für die Lehrer süsses Gebäck mitgebracht.

Dort waren auch die meisten Lehrkräfte anwesend und begutachteten den weissen Mann misstrauisch, aber auch neugierig erwartungsvoll. Raj stellte Herr Secon dem Direktor vor. Dieser schickte Raj auf den Hof und nahm sich dem Besucher an. Zuerst stelle er dem Besuch dem Lehrer von Raj vor.

Alle waren begeistert, dass der Besucher auch ihre Sprache recht gut sprechen konnte. Sie waren es sich gewohnt, dass bei Besuchern immer wieder alles erklärt und übersetzt werden musst. Auch wenn das hier eine private Schule war, in der in Englisch unterrichtet wurde, waren die Englischkenntnisse der Lehrkräfte mangelhaft, so dass sie nicht als Umgangssprache in der Schule galt. In den besseren Schulen, vor allem in den Städten wird in solchen Schulen vorwiegend in Englisch kommuniziert. Auf dem Lande kam das noch öfters vor, dass nicht alle Lehrer genug Englisch können.


Herr Secon hatte schon «Englischlehrer» getroffen, die selbst kaum Englisch konnten. Noch heute werden vor allem Wörter und einfache Sätze geübt, es finden kaum Gespräche in Englisch statt. Auf dem Lande ist es noch heute schwierig bis unmöglich, sehr gut ausgebildete und engagierte Lehrkräfte zu finden, vor allem in staatlichen Schulen wird an Lehrpersonal gespart und die Kinder werden oft mehr verwaltet als unterrichtet. Hier waren die Lehrer wenigstens anwesend, woran es in staatlichen Schulen oft mangelt.

Dem Besuch wurde Tee und Snacks angeboten, die er dankend annahm. Leider musste er erfahren, dass sie auch schon schlecht Erfahrungen mit Besuchern hatten.  Menschen, die ihnen das Gefühl gaben, alles besser zu wissen, wie es gemacht werden müsse.

Sie hatten schon von Herrn Secon gehört, weniges von Raj und die eine oder andere Lehrkraft kannte jemanden in dem Gebiet, in dem Herr Secon tätig war. Es stellte sich heraus, dass der Lehrer von Raj sogar schon öfters dort war, um Bekannte zu besuchen. Seine Beschreibungen halfen auch, dass der Besucher willkommen war.


«Was möchten sie hier machen?» Fragte der Direktor neugierig, «viel bieten können wir ihnen nicht». Die Schule war sehr einfach. «Ich würde mich gerne umsehen, vielleicht können sie mir einiges zeigen, ich möchte lernen und verstehen, um, sollten wir im Projekt eine Schule eröffnen, Ideen zu haben, wie das hier so läuft». erklärte Herr Secon.

«Sehen Sie», antwortete der Direktor, «Das grosse Problem ist hier, wie überall die Finanzen!»

«Mich interessiert hier vor allem die Technik», erklärte Herr Senon weiter: «Wie funktioniert das z.B. mit den Toiletten oder dem Trinkwasser, wie entsorgen sie den Müll?» Es wurde still, das waren für den Direktor eher etwas peinliche Fragen. Aber warum dieser Fremde gerade auf diese Themen kam, normal fragen alle zuerst: «Was lernen die Kinder?».

«Sehen Sie», erklärte Herr Secon weiter: «ich arbeite an Ideen für Schulen und würde gerne verstehen, ob die Ideen umsetzbar sind und was sie Schulen bringen könnten. Im Dorf mit unserem Projekt ist die staatliche Schule sehr klein und das sind andere Voraussetzungen». «Woran denken Sie?», kam die Gegenfrage.

«Ich weiss», fuhr Herr Secon weiter, «dass es in fast allen Schulen auf dem Land Kinder gibt, die ohne etwas oder ohne genug gegessen haben in die Schule kommen. So können sie keine Leistung bringen, das Lernen fällt schwer». Der Direktor nickte zustimmend: « Da können wir aber nichts dagegen machen, dazu fehlt uns das Geld, wir sind eine private Schule und das Geld ist immer knapp. Viele Eltern können sich das Schulgeld auch nur mit Mühe leisten und manche bezahlen immer wieder unregelmässig. Von der Regierung kommt auch sehr wenig Unterstützung an».

«Das ist wohl richtig, es gibt viele Probleme und Aufgaben zu erledigen, es ist schon gut, dass es offiziell eine Schulpflicht für alle Kinder bis 14 gibt, aber mir ist bewusst, dass trotzdem zu viele Kinder die Schule nicht besuchen können, oder sehr früh abbrechen», erzählte Herr Secon über sein Wissen darüber, «mir ist bewusst, dass sie auch Quoten zu erfüllen haben, arme Kinder aufzunehmen, dessen Kosten vom Staat bezahlt wird und ich vermute, dass Raj auch so ein Quotenkind ist?».

«Ja», seufzt der Direktor, «und die Entschädigung des Staats dafür kommt auch nicht so, wie gewünscht, Raj ist in seiner Klass der Einzige, der noch kommt und ich hoffe, dass es so bleibt. Bei ihm haben wir Glück, er ist ein sehr intelligenter Junge und sehr bemüht, trotz der Situation zu Hause, er hat es verdient und seine Mutter macht alles Mögliche, das er weiter in die Schule gehen kann. Ihr Arbeitgeber hatte uns damals gebeten den Jungen aufzunehmen».

«Aber», wendet Her Secon ein, «Es scheint da doch ein paar Probleme zu geben?»
«Ja», bekahm er zur Bestätigung, «es ist leider so, dass das es auch bei Kindern schon eine gewisse Arroganz geben kann, die oft von den Eltern weitergegeben wird und das von Menschen, die selbst nur das Minimum leisten. Sie nehmen oft das Kastensystem als Grund, obwohl das offiziell abgeschafft wurde, aber eben, hier auf dem Lande braucht alles viel länger. Zudem ist auch Neid da, weil sie armen Kinder nicht für die Schule bezahlen müssen, oder nur einen kleinen Teil davon. Das verrückte dabei ist, dass genau diese Familien oft selbst einer der unteren Kasten angehören, aber sie lassen den Frust lieber an schwächeren aus. Ausserhalb der Schule könne wir das leider nicht kontrollieren.»

Es war Zeit die Schule zu starten, die Kinder waren für die Nationalhymne schon auf dem Platz aufgestellt. Das gehört in Indien jeden Tag dazu. Danach laufen die Kinder geordnet in ihre Schulräume.

Für die verschiedenen Fächer müssen die Kinder in Indien meistens die Schulräume wechseln, aber jede Klasse in dieser Schule hatte einen Hauptlehrer. Der von Raj hatte Herrn Secon eingeladen, ihn ins Klassenzimmer zu begleiten.

«Herr Secon, ich habe gesehen, dass Raj mit ihnen in ihrem Projekt war, was mach er dort genau? Könnten Sie sich und Ihr Projekt der Klasse vorstellen?» Das könnte für die Kinder interessant sein», meinte der Lehrer von Raj und lud den Direktor der Schule ein, doch bitte auch zu kommen. Dieser schloss sich gerne an.

Im Schulraum angekommen wurden sie von den stehenden Schülern begrüsst. Einer der Schüler war unterdessen bereits die Anwesenheitsliste durchgegangen, an diesem Tag fehlten nur 2 Schüler, was bei den grossen Klassen kaum auffällt.

Mit «Guten Morgen, Setzen» begann der Lehrer den Unterricht.

Herr Secon sieht Raj ganz hinten sitzen und wundert sich, fragte sich, ob er vom Lehrer diskriminiert wird, wie es vielen anderen Dalit-Kindern in der Schule passiert, wo die Dalit Kinder ganz hach hinten oder aussen hingesetzt werden.
Doch der Lehrer bemerkte es und wandte ein: «Er will dort sitzen, da er etwas scheu ist, hat er lieber seine Ruhe, und zuhinterst hat er niemanden im Rücken, der ihn necken könnte».

«Also Kinder» fuhr der Lehrer weiter, «wie ihr sehen könnt, haben wir heute Besuch und auch der Herr Direktor ist anwesend, also bitte Ruhe und Respekt. Wer etwas fragen will, hält die Hand hoch».

Da der Lehrer selbst nicht genau Bescheid wusste, bat er Herrn Secon, sich und seine Projekte vorzustellen.

Dieser machte das gerne, erzählte, wo er herkam und warum er gerne hier ist und erzählte über die Zusammenarbeit mit dem Dorf, mit den Projekten, die sie dort umsetzten.

Vor allem betonte er, dass er nicht hier sei, um jemanden sein Wissen aufzudrängen, sondern um sein Wissen zur Verfügung zu stellen und zu teilen und es mit dem Wissen und den Kenntnissen der Menschen hier zu ergänzen. Dabei könne auch er noch dazu lernen. Wichtig seien ihm Menschen, die selbst etwas tun möchten, um ihre Situation zu verbessern.

Er erzählte auch, dass er der Meinung ist, dass die Menschen es nur verdient hätten, dass es ihnen besser geht, wenn sie dabei auch an die Natur und die Tiere denken, diese pflegen und schützen, denn wenn diese Schaden nehmen, wirkt sich das auch auf die Menschen aus. Es gab schon damals genug Beispiele wie Dürren, Überschwemmungen und Stürme, um das Bildlich zu erklären.  

Und schon hoben sich die ersten Hände:» Was sollen wir machen, geben sie uns Geld dafür?» Man hörte andere, wie sie schon fast arrogant über diese Frage lächelten.

«Nein, sicher nicht, genau darum nicht» war die Antwort von Herrn Secon. Kurzes Schweigen.
«Warum nicht? Ich verstehe es nicht, so läuft das doch bei Hilfswerken und so?», kam die Rückfrage und die lächelnden Stimmen verstummten.

Herr Secon blieb eine Weile ruhig und schaute sich in der Runde um. «Viel zu viele Menschen warten nur auf Hilfe, statt selbst etwas zu unternehmen. Manche Organisationen haben immer wieder so viel gegeben, ohne etwas zu verlangen, dass die Menschen davon abhängig wurden», war Herr Secons Antwort darauf.
Er blickte zu Raj und forderte ihn auf aufzustehen. Er blickte zum Lehrer, der genauso erstaunt war und fragt, ob er erlaube, dass er den Jungen zu Hilfe nimmt. Dieser symbolisierte ein Ja, wenn auch etwas verdutzt.

«Also, wie einige von Euch wissen, kenne ich Raj und das nun schon etwas länger und er hilft mir immer wieder etwas in den Projekten. Also Raj, ich denke, dass Du die Antwort kennst? Du kennst unterdessen meine Einstellung zu diesem Thema.»
Wenn Raj keine braune Haut gehabt hätte, hätte man besser gesehen, dass er rot angelaufen ist.

«Ähm», es kam etwas scheu aus dem Mund, «ich glaube, dass die Frage falsch war!» und wollte sich gleich wieder setzten. «Raj, warte schnell», reagierte Herr Secon schnell, «wie könnte denn die Frage besser sein?»


Raj, immer noch verlegen, musste nicht lange überlegen: «Was können wir dazu beitragen, vielleicht?» und setze sich schnell.

«Ja, das ist besser,» unterstütze Herr Secon den jungen Raj und zeigte auf den Fragesteller von vorhin, «Wo ist der Unterschied?». Doch von da kam nur ein Kopfschütteln. Also wandte sich Herr Secon an die ganze Klasse: «Wer sieht einen Unterschied zwischen den beiden Fragen?»

Selbst der Direktor war gespannt, was da kommen wird, er hatte gemerkt, worauf der Besucher hinauswollte, und er war begeistert.

Eines der Mädchen meldete sich, um zu fragen, ob ihre Überlegung richtig sei: «Ich denke, der Unterschied ist, in der ersten Frage ging es vor allem darum, etwas zu bekommen, um dann vielleicht etwas zu tun, in der andern, was man tun könne, um davon profitierten zu können?»

Erfreut über die Antwort, zeigte Herr Secon auf das Mädchen: «Ja, so sehe ich das, aber warum? Hat jemand eine Idee?»

Viel Kopfschütteln in den Reihen der Schüler und der Direktor forderte Herrn Secon aus, das doch genauer zu erklären.

«Ich sehe das so», erklärte Her Secon kurz, «Die Menschen reklamieren wegen der schmutzigen Flüsse. Sie wischen aber den eigenen Müll selbst einfach auf die Strasse und von dort wird er genauso in den Fluss geschwemmt. Sie holten jeden Baum ab, um damit zu kochen, danach ärgern sie sich über den Wind, der wegen der fehlenden Bäume nicht mehr gebremst wird. Bei beiden Fällen und anderem, gäbe es besser Lösungen und das sind nur Beispiele. Wenn ich mir also etwa überlege und es anders mache, profitiere ich vielleicht nicht finanziell, aber die Fische, die ich esse, haben keinen Müll im Bauch und der nächste Sturm deckt mein Haus nicht ab».

Da kam eine neue Frage und Herr Secon zeigte auf den Jungen, diese doch bitte zu stellen.

 «Aber Raj hilft ihnen doch auch nur um etwas zu bekommen, oder?»

Herr Secon konnte sein Lachen nicht zurückhalten:» Ja, sicher, Kinderarbeit, er wäscht meine Kleider, das darf er als Dalit, stimmt doch, oder Raj».

Aber schnell korrigierte er sich, bevor Raj vor Scham noch unter dem Tisch verschwand.
«Also», fuhr er weiter. «Raj, entschuldige bitte. Das ist sicher nicht so. Ich habe Raj über einen Geschäftspartner kennengelernt, der mir von ihm und seiner Fischkatze erzählt hat. Viele Dalits haben sonst schon zu wenig und trotzdem hat er der Katze geholfen, ohne dafür etwas zu erwarten, aber er hat etwas erhalten, ihren Respekt. Das hat mir gefallen.»

Raj mit katze im wasser 2

«Da kam eine Frage, die Her Secon schon erwartet hatte, «Aber Raj ist doch ein Dalit, mit ihm würde ich nicht einmal zusammen essen, geschweige denn, ihn zu mir einladen oder ihn besuchen. So habe ich das gelernt!»

Obwohl es draussen real so gelebt wird, war der Direktor über diese Äusserung in der Schule erschrocken und wollte den Jungen zurechtweisen.

Herr Secon winkte ab; «Darf ich?». Der Direktor bejahte.

«Junger Mann, sprach Herr Secon den Jungen an, der sich so äusserte, «Wenn du davon sprichst, beziehst du dich auf die Kastenregeln. Zu welcher gehörst Du, denn das Kastensystem wurde ja offiziell einmal aufgelöst?»

«Ich bin immerhin ein Shudras», bekam er zur Antwort.

«Also die unterste der 4 offiziellen Kasten, dann ist Dein Vater ein Dienstleister?» konterte Herr Secon und verstärkte die Worte mit den Händen nach unten.
Etwas peinlich wurde die Frage bejaht.

«Dann wollen wir mal sehen,» fuhr Herr Secon weiter, «Mein Grossvater war ein Bauer mit eigenem Land, etlichen Apfelbäumen, aus denen er Most herstellte, eigenes Vieh und mein Vater hatte keine Möglichkeit einen Beruf zu lernen, das war damals noch öfters so. Aber sie hatten also eigenes Land, produzierten und handelten. Hier würde ich dadurch also wohl zur Kaste der Vaishyas gehören». Herr Secon schmunzelte und sagte, die Augen zu dem Jungen gerichtet: «Oh, damit wäre ich ja eine Kaste höher als Du und damit mehr wert als Du».

Der Junge schaute etwas peinlich verwirrt, so etwas hatte er noch nie von einem Ausländer gehört und der Lehrer lächelte.

«Also», machte Herr Secon weiter: «Dann bist Du also für mich und damit für die oberen 3 Kasten auch nur ein Shudras und ich soll dich entsprechend von oben herab behandeln? Aber du hast das Glück, wenigstens kein Dalit zu sein?» Herr Secon macht eine Pause und sah in die Gesichter der Kinder, denen einiges durch den Kopf zu gehen schien.


«Du brauchst das nicht zu beantworten, aber überlege einmal, konntest du das auswählen? Hast du deine Familie, in die du hinein geboren bist, selbst gewählt? Wenn ja, warum hast du dann nicht eine Famile gewählt, die zu einer der oberen Kasten gehört und viel Geld hat oder in einem anderen Land wohnt? Raj konnte das auch nicht» schloss Herr Secon die Beantwortung dieser Frage ab.

Ein grosses Schweigen und viele nachdenkliche Gesichter waren die Folge, aber auch ein unterstützendes Lächeln des Lehrers und des Direktors.

Da meldete sich ein Mädchen: «Da haben sie mehr Glück, sie konnten in einem Land ohne Kasten auf die Welt kommen, oder?».

Da bekam sie von Herrn Secon eine Antwort, die niemand hier erwartet hätte: «Schaut mal, bei euch kann man nach euren Namen erkennen zu welcher Kaste ihr gehört, weil die Namen die Berufe sind, in denen eure Vorfahren gearbeitet haben, oder sogar noch arbeiten und viele von Euch noch arbeiten werdet.
Das war in früheren Zeiten bei uns auch so. Viele Familien haben Namen, die verraten, welche Berufe ihre Vorfahren hatten, sei es der Schmied, der Müller oder der Zimmermann usw. Manche haben sogar Namen von Berufen, die man schon lange nicht mehr kennt. So bekamen sie damals ihre Namen und wurden, ja nach Beruf, auch als mehr oder weniger wertvoll betrachtet oder sogar minderwertig behandelt. Es gab auch Menschen wie Knechte, die nie eine Chance im Leben hatten, vor allem wenn sie Waisen waren oder Mütter hatten, die nicht verheiratet waren. Es gab sogar eine Zeit, in der es nicht nur Kinderarbeit gab, sondern arme Familien ihre Kinder verkauften. Viele hatten das Land verlassen, weil sie keine Zukunft hatten. Es waren keine Kasten wie hier, und doch ähnliche Verhältnisse. Zum Zeil waren es Ausländer, die als Touristen in unser Land kamen und dadurch entstanden Arbeitsplätze, die auch etwas veränderten, vor allem bei der meist sehr armen Bergbevölkerung.  Die Menschen sahen viel neues, sie haben es angenommen, daraus gelernt und sogar verbessert. Sie haben gelernt zu lernten, eigene Ideen anzunehmen und umzusetzen. Genau wie hier lebten damals die ärmsten Menschen auf dem Land.
Heute ist das besser, Zimmermänner können auch Bankdirektoren der Politiker sein. Aber nicht alle können das.

Aber für einige Menschen gibt es immer noch andere, die sie als weniger Wertvoll betrachten, seien es die Reinigungskräfte oder andere Menschen in einfachen Berufen. Auch Behinderte werden von manchen Menschen gemieden. Das auch bei uns nicht alle die gleichen Chancen haben, sehen manche nicht.
Genauso brauchen auch bei uns manche Menschen andere, auf die sie glauben herunterschauen zu können oder um sie sogar zu erniedrigen. Das alles hat nichts mit Kasten zu tun, sondern mit einer eigenen Unzufriedenheit, Angst vor Konkurrenz und dem Charakter. Dabei sind viele der einfacheren Menschen viel bessere Menschen als Reiche, deren Reichtum manchmal auf der Ausnutzung billiger Arbeiter entstanden ist. Manche stellen sich dann als besser dar, indem sie wieder eine grosszügige Spende machen. Aber Gute gibt es auch dort, solche, die viel geleistet und es selbst geschafft haben. Das verrückte daran ist, dass die, welche auf die Handwerker herunterschauen, heute froh sein müssen, wenn jemand von denen überhaupt Zeit hat, ihnen etwas zu reparieren. In der Zukunft wird die KI viele Jobs derer wegrationalisieren, die nur Kopfarbeit machen wollen, selbst auf den Baustellen und einfache Jobs werden sie übernehmen können, aber handwerkliche Arbeiten, da wird es länger dauern und vor allem zur Unterstützung dienen. Vieles wird die KI noch länger nicht können. Das zeigt sich auch schon in Indien, den jetzt haben die höheren Kasten, welche die IT-Jobs für sich beanspruchen möchten, das Problem, die KI als Konkurrenten zu bekommen. Nein nicht die KI ist der neue Kollege, sondern der Mitarbeiter, der gelernt hat, mit der Ki umzugehen und damit zu arbeiten. Ja, auch viele von euren Jobs werden sich verändern, einfache Handarbeiten werden durch Maschinen noch weiter erleichtert, dafür braucht es keine KI, sondern Wissen. Wer nicht mitmacht wird untergehen.»

Herr Secon machte eine Pause und schaute in die Runde. Selbst der Lehrer schaute verwundert.

Dann fuhr Herr Secon weiter: «Als ich mit 23 Jahren zum ersten Mal nach Asien reiste, damals gab es noch kein Internet wie heute, dachten Leute, dass ich Glück habe, denn sie dachten, in einem christlichen Land wie meiner Heimat brauche es sicher nicht einmal Polizei oder Militär. Später sahen Sie Filme von reichen Leuten und dachten, dass wir alle so leben. Daran, das die Reichen auch ihre Angestellten und Knechte haben, dachte niemand. Wenn sie hörten, dass ich ein Auto habe, fragten manche, wie viel ich dem Fahrer bezahle. Bei uns haben nur sehr wenige einen Fahrer».

Herr Secon schwieg kurz und lachte: «Ja, schon damals hatte ich gelernt, wie falsch man liegen kann, wenn man sich von anderen beeinflussen lässt, oder wie viel unnötigen Neid Unwissen auslösen kann. Ich hatte viel Aufklärungsarbeit zu leisten, denn auch die Besucher hier fuhren meist in grossen Autos mit Fahrern umher. Man muss lernen, seine eigene Meinung zu bilden und zu lernen. Natürlich hatten wir auch damals schon Polizisten, böse Menschen gibt es in jedem Land, das hat nichts mit Religion oder so zu tun.»

Da meldete sich noch ein Junge und Herr Secon liess ihn die Frage stellen:
«Was aber kann ihnen ein Junge wie Raj helfen? Er ist nicht älter als wir und hat nichts zu bieten? Ein solcher Umgang kann doch Probleme geben?»

«Schau, das ist so, zum einen hat er keinen Vater und ich habe gesehen, wie viel Mühe sich die Mutter gibt, auf wie viel sie verzichtet, damit Raj in die Schule gehen kann. Dass der Staat einen Teil davon bezahlt hilft, aber er hat noch genug selbst zu bezahlen und das finde ich super, da habe ich Respekt», bekam er zur Antwort, «zum anderen hatte ich einen Vater, der aber nicht ein Vater war, nur für meine Geschwister, das tat weh, aber dadurch wurde ich zu dem, was ich heute bin und mache».

«Ausserdem ist Raj sehr begierig zu lernen und das freut mich auch. Er bekommt keinen Lohn, ich helfe aber gerne, wenn es nötig ist, damit die Mutter auch etwas davon hat. Ja, lernen und helfen kann er auch. Ohne ihn wäre es schwieriger gewesen von den Dalits akzeptiert zu werden, ihr wisst, dass man dort nicht einfach vorbei geht und so. Er kann auch anderen ein Vorbild sein, indem er ihnen zeig, die Angst vor Veränderungen zu verlieren, um etwas zu verbessern.» 

Er macht eine kurze Pause, dann fragte er, sich in der Klasse umsehend: «Habt ihr verstanden, was ich meine? Überall gibt es Menschen, die meinen, dass sie wegen ihres Standes oder Geldes mehr wert seien, sie lassen andere darunter leiden. Das kommt aber oft einfach davon, dass diese Menschen genau wissen, dass die anderen besser sein könnten, dass sie Angst haben, überholt zu werden oder einfach neidisch sind, wenn andere mehr erreichen, ohne zu sehen, was die anderen dafür geleistet haben. Selbst wollen sie sich aber nicht mehr Mühe geben als nötig, um mehr zu erreichen, das wäre ja Arbeit. Wenn ihr nicht akzeptieren könnt, wenn andere anders sind, lasst sie doch einfach in Ruhe leben. Neid kann auch positiv sein, dann, wenn man dadurch angespornt wird es auch erreichen zu wollen und dafür etwas macht, aber neidisch zu sein und nur profitieren zu wollen, macht krank. Auf solche Menschen kann ich verzichten. Ich möchte auch nicht mit jedem etwas zu tun haben».

Die Zeit verging schnell. «Noch eine letzte Frage», wollte Herr Secon wissen? «Ja, was könnten wir machen?»

«Ja, das ist eine gute Frage. Wenn der Herr Direktor einverstanden ist, könntet ihr Euch einmal überlegen, was man an der Schule machen könnte, z.B. Trinkwasser, Toiletten zu Geld machen, um anderes zu finanzieren, ich würde mich freuen, zu sehen, welche Ideen da entstehen, vielleicht könnte man daraus interessante Projekte machen, die ganze Schule zusammen oder klassenweise. Der eine oder andere von euch könnte davon vielleicht auch zu Hause etwas umsetzten, ich würde mich freuen und gerne wieder kommen», antwortete Herr Secon und hinterliess mit Aussagen wie «Toiletten zu Geld machen» grosse Fragezeichen.

Es war schon längst Pause und weitere Lehrer versammelten sich unter der Türe, um dem Geschehen zu lauschen. Als sie das Schulzimmer verliessen, rief Herr Secon Raj zu sich. «Raj, alles ok, kommst du in den nächsten Tagen wieder einmal im Projekt vorbei, aber frage zuerst deine Mutter, ob sie dich benötigt?» «Ja, sehr gerne, Danke, es ist alles ok, hoffe ich.»

Raj school 1


Bevor der Besucher die Schule wieder verlassen hatte, schaute er sich mit dem Direktor noch ein paar Detail der Schule und den Platz darum an, den Tank für das Trinkwasser, die Toiletten und die Büros der Schule, um sich auch Gedanken machen zu können. Er sass mit den Lehrern und dem Direktor nochmals zusammen, und sie waren gespannt, was da auf sie zukommen könnte.

Dann zog sich Herr Secon zurück, er hatte noch Arbeit auf dem Tisch, die er erledigen wollte. Es war ein interessantes Treffen, für beide Seiten und es wird weitergehen.

02.06.24 B. Feser

 


 

 

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